Karim Khan
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Haftbefehlanträge vor IStGH "Unterstreichen, dass Völkerrecht für alle gilt"

Stand: 20.05.2024 17:25 Uhr

Was ist die Begründung für den Antrag auf Haftbefehle für Israels Premier Netanyahu und seinen Verteidigungsminister sowie für die Anführer der Hamas? Und was wird nun geschehen?

Von Kolja Schwartz, ARD-Rechtsredaktion

Warum soll es Haftbefehle gegen Netanyahu und Gallant geben?

Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, Karim Khan, sieht hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass Israels Premierminister Benjamin Netanyahu und Yoav Gallant, der Verteidigungsminister Israels, die Verantwortung für eine Reihe von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit tragen.

Khan führt das Aushungern von Zivilisten, Angriffe auf die Zivilbevölkerung, Ausrottung und Mord, Verfolgung und andere unmenschliche Handlungen auf. Nach dem schrecklichen Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 seien diese Taten seit dem 8. Oktober 2023 im Gazastreifen geschehen.

Die Verbrechen gegen die Menschlichkeit seien Teil eines systematischen Angriffs im Rahmen der staatlichen Politik Israels und würden bis heute andauern. Israel habe der Zivilbevölkerung in allen Teilen des Gazastreifens absichtlich und systematisch die Dinge genommen, die für das Überleben unentbehrlich sind.

Beispiele seien die Unterbrechung von Wasser- und Stromleitungen, die Schließung der Grenzübergänge und die Behinderung humanitärer Hilfe. Der Chefankläger führt weiter aus, Israel habe Hunger als Methode der Kriegsführung eingesetzt und wolle die Zivilbevölkerung des Gazastreifens kollektiv bestrafen.

Welche Haftbefehle soll es gegen Hamas-Vertreter geben?

Khan hat zugleich Haftbefehle für drei bedeutende Personen der Terrororganisation Hamas beantragt: Yahya Sinwar, den Leiter der Terrororganisation Hamas im Gazastreifen; Mohammed Diab Ibrahim Al-Masri, Oberbefehlshaber des militärischen Flügels der Hamas, der sogenannten Al-Kassam-Brigaden; und Ismail Haniyah, den Leiter des Politbüros der Hamas.

Es gebe hinreichende Anhaltspunkte, dass sie für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich seien. Ausrottung, Mord, Geiselnahme, Vergewaltigungen, Folter und andere unmenschliche Handlungen führt der Chefankläger auf. Die Verbrechen gegen die Menschlichkeit seien Teil eines systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung Israels und würden ebenfalls bis heute andauern. 

Khan ist davon überzeugt, dass die Beschuldigten für die Anschläge am 7. Oktober 2023 auf Israel und die Geiselnahmen verantwortlich seien. An dem Tag habe man unglaubliches Leid erzeugt, für das die Täter verfolgt werden müssten. Die Geiseln würden unter unmenschlichen Bedingungen gehalten, einige von ihnen seien sexueller Gewalt und Vergewaltigungen ausgesetzt gewesen.

Welche Rolle spielt der Angriff bei der Bewertung des Handelns Israels?

Israel habe natürlich das Recht, nach dem Angriff am 7. Oktober Maßnahmen zum Schutz seiner Bevölkerung zu ergreifen, es hat also ein "Recht auf Selbstverteidigung", führt der Chefankläger in seiner Stellungnahme aus.

Israel sei aber verpflichtet, dabei das humanitäre Völkerrecht einzuhalten. Netanyahu und Gallant seien zwei der Hauptverantwortlichen dafür, dass dies nicht geschehe.

Khan erklärt, wie wichtig es sei, dass die gleichen Maßstäbe für alle gelten. Das Völkerrecht würde zusammenbrechen, wenn man es selektiv anwenden würde. Die Anträge auf Haftbefehle sowohl gegen die Hamas-Führung als auch gegen Netanyahu und Gallant unterstrichen, dass das Völkerrecht und die Regeln für bewaffnete Konflikte für alle gälten.

Nichts könne rechtfertigen, dass Menschen, darunter so viele Frauen und Kinder, vorsätzlich der lebensnotwendigen Grundversorgung beraubt würden. Und nichts könne die Entführung von Geiseln oder die gezielte Tötung von Zivilisten rechtfertigen.

Was bedeutet der Schritt des Antrags auf Haftbefehle?

Khan hat nach monatelangen Ermittlungen die Haftbefehle beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) beantragt.

Ob die Voraussetzungen für die Haftbefehle aber tatsächlich vorliegen und ob die Haftbefehle dann auch erlassen werden, muss nun der Gerichtshof, also die unabhängigen Richterinnen und Richter, entscheiden. Noch gibt es also keine Haftbefehle, sondern nur die Anträge, solche zu erlassen.

Wozu würde ein Haftbefehl für Netanyahu führen?

Solange Netanyahu in Israel bleibt, hätte ein Haftbefehl nur eine symbolische Wirkung. Der IStGH kann ihn dort nicht festnehmen lassen, er hat keine eigene Polizei, die er nach Israel schicken könnte. Allerdings würde der Haftbefehl die Bewegungsfreiheit Netanyahus stark einschränken.

Würde er in Staaten reisen, die Mitglied des Gerichtshofs sind, würde ihm dort die Verhaftung drohen. Auch seine Immunität als Staatsoberhaupt würde ihn bei dem Vorwurf der Kriegsverbrechen nicht vor einem Prozess in Den Haag schützen.

Chefankläger Khan ermahnte bereits die Mitgliedstaaten, eine solche Entscheidung des Gerichts mit der gleichen Ernsthaftigkeit zu behandeln, wie sie es in anderen Fällen getan hätten. Nach dem Römischen Statut seien sie zu einer Festnahme auf ihrem Staatsgebiet verpflichtet.

Warum ist der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag zuständig?

Den Internationalen Strafgerichtshof gibt es seit 2002. 124 Staaten haben ihn anerkannt, darunter Deutschland. Nicht anerkannt haben ihn zum Beispiel die USA, China, Israel oder Syrien und Russland.

Die Palästinensergebiete sind seit 2015 Vertragsstaat des Gerichtshofs. 2021 hatte der IStGH entschieden, dass er auch für die seit 1967 besetzten Gebiete wie das Westjordanland und den Gazastreifen zuständig ist. Wenn das Völkerrecht in diesen Gebieten also verletzt wird, ist der Gerichtshof in Den Haag zuständig, egal von wem die Taten ausgehen.

In einer vorherigen Version hieß es im Teaser, es sei ein Antrag auf Haftbefehl gegen den israelischen Außenminister gestellt worden. Der Antrag des Chefanklägers gilt jedoch dem Verteidigungsminister Israels. Wir haben den Teaser korrigiert.

Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 20. Mai 2024 um 16:00 Uhr.